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Wiederaufbau noch vor Kriegsende

Lutherisches aus Ex-Jugoslawien

 

Die Hilfsprojekte des Lutherischen Weltbundes in Kroatien und Bosnien machen nicht durch Umfang von sich reden:  Jährlich gibt er dort weniger als drei Millionen DM aus.  Nach John Wood, LWB-Landeskoordinator in Zagreb, wolle man jedoch lieber wegweisend als klotzig sein: "Wir haben Modelle entworfen, die als Katalysatoren für größere Programme fungieren könnten," beteuert er.

 

Wood legt Wert auf die Instandsetzung bestehender Wohneinheiten: Während die deutsche Bundesregierung 51 Millionen Mark für den Neubau von Fertigteilhäusern für höchstens 5.000 Flüchtlinge ausgegeben hat, konnte der Weltbund 2.000 Flüchtlingen in Neum/Herzegowina ein Dach beschaffen, in dem er vor allem das Glas in zwei beschädigten Hotelbauten erneuerte.  Die Kosten hierfür betrugen rund 320.000 DM.

 

Wood unterstreicht, daß demnächst Lebensmittel für den kommenden Winter in Bosnien in Position gebracht werden sollten: Viele Menschen würden nur die Flucht ergreifen, weil sie von den üblichen Hilfskanälen abgeschnitten seien.  Der 74-jährige Kanadier beklagt: "Bedauerlicherweise haben die meisten Programme kein Mandat, um zu verhindern, daß die Menschen überhaupt zu Flüchtlingen werden."

 

In Dörfern südlich von Osijek können Woods Vorstellungen unter die Lupe genommen werden: Die Einwohner von Ivanovac reparieren eine Schule mit Baumaterialien, die der LWB gespendet hat.  "Wir brauchen Familien, die in ihre zerstörten Dörfer zurückkehren," erklärt die deutsche LWB-Mitarbeiterin Hermina Nikolaisen, "und die Wiedereröffnung von Schulen bildet hierfür einen Anreiz."  Kostenloses Saatgut soll Bauern zur Rückkehr und zum Wiederaufbau einer eigenständigen Existenz verhelfen.

 

Der Weltbund spendet Baumaterialien auch für Häuser, die nur wenige Meter von den serbischen Linien entfernt liegen.  "Wir dürfen die Menschen nicht fünf Jahre lang moralisch-seelisch hängen lassen," insistiert die sportlich-junggebliebene Dame aus München, "auch wenn der Kriegsausgang noch ungewiß ist."

 

Leider werden die Anstrengungen Woods von der kroatischen lutherischen Kirche kaum honoriert.  Senior Vlado Deutsch, Leiter der einheimischen Lutheraner, resümiert: "Wir denken es sind auch unfähige Leute da.  Das sind Leute die irgendwo in Somalia oder in Bangladesh gearbeitet haben, und sie kommen hierher und arbeiten mit denselben Methoden.  Das kann man nicht so machen.  Die meisten unserer Leute sind besser geschult als diese Leute."  Allerdings verfügt das bescheidene Zagreber Hilfswerk der kroatischen Lutheraner nur über freiwillige Helfer, Wood und Nikolaisen hingegen sind langjährige hauptberufliche Mitarbeiter internationaler Hilfswerke.

 

Auch mit den Beziehungen zwischen den in Kroatien und in Serbien lebenden Lutheranern knirscht es: Die Lutheraner Kroatiens begreifen sich als kroatische Patrioten, die 51.000 Lutheraner slowakischer Nation in der serbischen Vojvodina verstehen sich jedoch keineswegs als eine Untergliederung des serbischen Volkes. Lutherische Beziehungen über die Kriegsfront hinweg sind minimal:  Junge Erwachsene aus Serbien, die im vergangenen Sommer eine Jugendkonferenz in Wien aufsuchten, erinnern sich mit Zorn an das Ereignis.  Ihrem Empfinden nach sind sie von den kroatischen Teilnehmern als "Serben" ausgegrenzt worden. Hilfsprojekte für die Flüchtlinge Serbiens hinken weit hinterher: Sie befinden sich noch im Stadium der  Lebensmittelverteilung.  Von Serbien hält sich der Lutherische Weltbund fern: Im Februar wurde endlich ein Hilfswerk in Serbien gegründet an dem auch die Lutheraner beteiligt sind: die "Ökumenische Humanitäre Hilfe".

 

Unter den Protestanten Serbiens fühlen sich gegenwärtig nur die Freikirchen wohl: Nur sie nehmen freimütig den Wehrersatzdienst in Anspruch.  Da tun sich ethnisch monolitische Kirchen wie die slowakischen Lutheraner oder die ungarischen Reformierten ungleich schwerer.  Andrej Beredi, Bischof der slowakischen Lutheraner mit Sitz in Novi Sad, verteidigt sich mit dem Einwand: "Wenn zu viele Slowaken den Wehrdienst verweigern würden, käme vom Staat sehr rasch der Vorwurf, wir seien anti-serbisch eingestellt."  Hier liegen die multiethnischen Freikirchen, die über serbische Mehrheiten verfügen, eindeutig im Vorteil.

 

Minimal sind zugleich die Beziehungen der protestantischen Christen zu den vorhandenen Friedensgruppen.  Der orthodoxe Publizist, Zivica Tucic, spricht vielen Christen aus der Seele wenn er versichert, die Belgrader "Frauen in Schwarz" seien "alles gottlos aufgewachsene Leute, die offen sagen, daß sie Atheisten sind.  Nie haben sie Kontakte zu den Kirchen gesucht.  Im Prinzip begrüße ich was sie machen, aber es sind leider nur 10-15 Frauen.  Es gibt Tausende von Frauen in Belgrad, die zu so etwas bereit sind, aber die Frauengruppen bemühen sich nicht um sie.  Es ist leider ein Spektakel.  Die Frauen sollten sich nicht nur einmal in der Woche zeigen, sondern auch menschliches Mitleid auf eine andere Weise demonstrieren."

 

Bill Yoder

Evanston/USA, den 22. März 1993

 

Verfaßt für „Die Kirche“ in Berlin, 675 Wörter

 

Anmerkung von Dezember 2020: Vlado Deutsch ist 1999 verstorben; auch John Wood (geb. 1919) ist verstorben, das Jahr ist mir jedoch nicht bekannt. Der Belgrader Publizist Zivica Tucic lebte von 1952 bis 2015.