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Kirchliches aus der serbischen Krajina

Jovo Jekic ist seit etlichen Jahrzehnten Prediger.  Er ist Baptist und lebt in der Nähe von Petrinja, in dem Teil Kroatiens, das von Serben kontrolliert ist.  Die Serben nennen dieses Gebiet "Krajina".  Die bescheidenen Englischkenntnisse des Pastors haben die dortige Baptistengemeinde vorläufig vor dem Aussterben bewahrt.  Sie erlaubten es ihm im vergangenen Jahr, seine stark zusammengeschrumpfte Gemeinde mit UNO-Truppen aus Nigeria aufzustocken.  Krieg und Leiden sind dem Pastor Jekic nicht unbekannt: Ein Urkämpfer des serbischen Baptismus, mußte er in seinem Leben die Verfolgung jeweils durch Orthodoxe, Faschisten und Kommunisten über sich ergehen lassen.

 

Pastor Jekic erwarb seinen Glauben und seine Englischkenntnisse in den USA.  Er arbeitete für die Ford Motor Company in Detroit bis 1919:  Jovo Jekic ist schließlich 100 Jahre alt.  Gemeinsam mit den Brüdern aus Nigeria hat er in der Gemeinde seinen Geburtstag gefeiert.

 

Ansonsten ist es einsam um den serbischen Prediger geworden. Zehn Kilometer entfernt in Sisak, im kroatisch-regierten Teil wo viele Verwandte wohnen, pulsiert das Leben.  In der zerstörten Stadt Petrinja hingegen tragen nahezu sämtliche Männer Uniform; alle Läden und Schulen sind dicht.  Seit Ende Januar befinden sich Armee und Miliz in Alarmbereitschaft; die Kirchen beider großen Konfessionen sind dem Erdboden gleich.

 

Anderswo, in der verwüsteten Stadt Vukovar, feiern die wenigen verbliebenen evangelischen Christen Gottesdienst zu Hause.  Ihre Gemeindehäuser sind zerstört oder enteignet.

 

In der Krajina paßt nicht nur die Polizei auf.  In Dalj, nördlich von Vukovar, platzte ein Polizist mitten in unser Gespräch mit dem dortigen Erzbischof.  Er wollte sich erkundigen nach der Herkunft der unerwarteten Gäste, die ihm die Nachbarn gemeldet hatten.

 

Südlich von Vukovar, in dem malerischen Städtchen Ilok an der Donau, bewahrt Vater Marko, der letzte katholische Priester in diesem Landstrich, die beschädigten Bücher und Kunstgegenstände zerstörter Kirchen auf.  Behilflich ist ihm dabei Blandina Negga, eine elegante schwarze Dame aus Antigua in der Karibik, die bei der UNO für die Belange der Zivilbevölkerung zuständig ist.

 

Eigentlich müßte es der orthodoxen Kirche in der Krajina gut gehen:  Der Glaube steht hoch im Kurs.  Die Männer in Tarnanzügen von der Stadtverwaltung Petrinja entschuldigten sich dafür, daß sie atheistisch erzogen worden sind.  Sie redeten ständig von "unserer" und von "deren" Kirche.  Plakate mit Ikonen prangten an der Wand.

 

Doch die Kirche scheint überfordert zu sein.  Wahrscheinlich hat sie sich übernommen.  Die Leute wollen Orthodox werden, doch wo erfahren sie wie?

 

Ein Evangelikaler in Serbien drückte es so aus: "Diese ehemaligen Kommunisten sind nur oberflächlich christianisiert, und schon gar nicht evangelisiert.  Und wer Nationalist ist, hat sich bereits dem echten Glauben verschlossen."

 

Verarmt sind alle Kirchen.  Im neuen orthodoxen Bischofssitz in Dalj pfeift der Wind durch die undichten Fenster.  Es mangelt an allem: Weder Auto noch Medikamente stehen dem Bischof Lukijan zur Verfügung.

 

Das Geld, das die Menschen verdienen, ist wertlos.  Nach serbischen Vorstellungen ist die Krajina ein selbständiger Staat.  Deshalb druckt der Regierungssitz in Knin Geldscheine.  Nicht einmal unter serbischen Patrioten jedoch sind diese Banknoten willkommen.  Nur die Währung des Feindes, die D-Mark, wird gerne in Zahlung genommen.

 

In Vukovar geht nur zehn Prozent der Bevölkerung einer Arbeit nach.  Für evangelische Kroaten gibt es keine Stellen.  Eine Familie von Pfingstlern, die ich kennenlernte, sammelt Brennbares aus zerstörten Häusern auf, um das eigene Überleben zu sichern.  Eine Tochter in Deutschland soll die D-Mark heranschaffen.

 

Die Kriegsschrecken sitzen tief.  Die Tochter des Pastors Jekic erzählte mit verstockter Stimme vom üblen Leichengeruch, der lange über Petrinja lag.  Erst im Winter 1991-92 wurden die letzten Leichen aus den zerstörten Häusern geborgen.

 

"Was haben wir uns bloß eingebrockt?", fragte verzweifelt eine sympathische serbische Dolmetscherin.  Die Angst sitzt den Serben der Krajina im Nacken.  Ihre Zukunft besteht aus einem ganz großen Fragezeichen.

 

Der Katholik, Pfarrer Marko, wurde gefragt, ob er die Verständigung mit seinen orthodoxen Amtskollegen sucht.  "Nein," erwiderte er.  "Zuerst muß der Krieg auf­hören, dann können wir reden."  Vater Marko, ein Kroate, ist ganz auf das Überwintern eingestellt.  Schließlich ist seine Kirche nicht von ungefähr für ihren langen Atem bekannt.  Darum holt Pfarrer Marko tief Luft.

 

Bill Yoder

Berlin, den 13. März 1993

 

Verfaßt für den EPD, Ausgabe für kirchliche Presse, in Frankfurt/M., 660 Wörter

 

Anmerkung von Dezember 2020: Bei einer Großaktion der kroatischen Armee Anfang August 1995 wurde der gesamte westliche Teil des Gebietes der serbischen Krajina zurückerobert.