Amerikanischer Bürgerrechtler zu Besuch in Berlin
Nach einem kurzen Besuch an der Berliner Mauer meinte der amerikanische Bürgerrechtler Jesse Jackson, diese ''Narbe im Gesicht Berlins" dürfe auf Dauer nicht hingenommen werden. So äußerte sich der Baptistenprediger bei einem Pressegespräch auf dem Kreuzberger Mariannenplatz am Freitag, den 16. September 1983. Dieser höchstwahrscheinlich erste schwarze Präsidentschaftskandidat fuhr fort: "Egal wie dick die Mauem sind, können sie die Menschen nicht davon abhalten, von der Freiheit zu träumen." Für ihn sei die Mauer ein Zeichen der Unsicherheit; ein "Denkmal der Angst und der fehlenden Kommunikation".
Nach Jacksons Auffassung seien gegenwärtig "Herr Reagan und Herr Andropow" die einzigen Menschen, die den Todesstreifen" überbrücken könnten. Derjenige mit der größten Friedenssehnsucht werde den ersten Schritt wagen müssen. Obwohl ein solcher Schritt „die ganze Welt hinter Reagan bringen würde", wäre es verfehlt zu glauben, daß unser Präsident diese Verantwortung auf sich nehmen würde“. Der auf dem Mariannenplatz offenkundige „Anti-Amerikanismus" führte Jackson auf die Überzeugung der Menschen zurück, die USA seien gegen die Armen eingestellt. Hinsichtlich des Nachtrüstungsbeschlusses meinte er, auch Verhandlungen seien teuer: „Die Stationierung verspricht vielen Menschen eine Menge Geld."
Dieser Schüler Martin Luther Kings zeigte sich beeindruckt vom Ausmaß des westlichen Wiederaufbaus und unterstrich seine Hochachtung vor dem "demokratischen politischen Prozeß". Dennoch soll eine Gesellschaft nicht nach solchen Gesichtspunkten beurteilt werden, sondern danach, "ob sie ein Sicherheitsnetz schafft, das die Armen auffängt, ob sie Kinder ausbildet, Frauen und Alte schützt, und ob sie Menschen „nach Kaste und Klasse einteilt“. Die Armen hätten mehr zu bieten, als nur „Frondienst“ und „Soldatendienst während Kriegszeiten“. Es komme also für eine Gesellschaft darauf an, den Verstand und die Talente dieser Menschen zu entwickeln.
William Yoder
Berlin, den 17.9.1983
Erschienen im Evangelischen Pressedienst (EPD), Landesdienst Berlin, 267 Wörter