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Motschmann: Die DDR ist uns 20 Jahre voraus

Veranstaltung der Evangelischen Sammlung zum Luther-Jahr in Ost und West

 

Laut Professor Klaus Motschmann sei die DDR dem Westen in der Erforschung der deutschen Vergangenheit „mindestens 20 Jahre voraus“. So äußerte sich der Politologie-Professor auf einer Veranstaltung der Evangelischen Sammlung in der Kapelle der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am Freitag, den 26. August. Während hier der Name Friedrich der Große "kaum ausgesprochen werden darf", seien er sowie Luther und weitere „Ahnherren des Faschismus“ in der DDR längst rehabilitiert. Nach Motschmann verfügten die UdSSR und DDR sowie nahezu alle anderen Staaten über eine ungebrochene und unbefangene Vaterlandsliebe. Im Westen Deutschlands hingegen hänge nicht einmal die Nationalfahne.

 

Superintendent i.R. Reinhold George hält das in der DDR aufkommende Nationalbewußtsein für „eine Abfärbung von den Russen“. Mit betont positiven Worten beschrieb er eine Busfahrt der „Sammlung“ zu den Lutherstätten in der DDR; alle Stätten würden vom Staat "in großzügigster und feinster Weise dargestellt". In der Luther-Ehrung hätten Staat und Kirche „zu einem Miteinander gefunden“. Auf der ganzen Fahrt hätte er niemals „eine leise "Gehässigkeit gegen die Kirche oder gegen das Evangelium gemerkt".

 

Während im Westen die Luther-Feiern etwas Innerkirchliches geblieben seien, gelten sie in der DDR als „öffentlichkeitswirksam“ und „Sache des ganzen Volkes“. George meinte ferner: „In welchem Fleischerladen hier in (West) Berlin hängt ein Lutherkopf?“

 

Der ehemalige Schöneberger Superintendent fügte hinzu, in der DDR "machten Straßen und Plätze einen besseren Eindruck als das, was man hier auf den Stufen des Brunnens und der Gedächtniskirche zu sehen bekommt". Das liege in der DDR nicht „an den Knüppeln der Polizei", sondern „an der allgemeinen, öffentlichen Moral der Bevölkerung". Die Jugend auf DDR-Kirchentagen bezeichnete er als "alles saubere, kluge, nette Gestalten".

 

Mit Wonne las George einige Zeilen Luthers über die Vorzüge der weiblichen Brüste vor. Diesen in der DDR erschienenen Aufsatz empfahl er den Grünen zur Lektüre.

 

Motschmann und George, beide Mitglieder des Leitungskreises der „Sammlung“, halten die gegenwärtige Friedensdiskussion für eine Ablenkung. George bezeichnete das Ausrufen von atomwaffenfreien Zonen als eine ''närrische Utopie". Erst recht in Berlin-West seien derartige Bemühungen belanglos, da es hier nicht einmal eine Polizei gebe, „die anständig bewaffnet ist".

 

Bill Yoder

Berlin, den 27.8.1983

 

Verfaßt für den Evangelischen Pressedienst (EPD, Landesdienst Berlin, 335 Wörter

 

Anmerkung von Dezember 2021: Der Politologe Klaus Motschmann lebte von 1934 bis 2016; der Theologe Reinhold George von 1913 bis 1997.