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Gemeindeveranstaltungen zum 50. Jahrestag der Machtergreifung

„Wer Erfolg hat, ist bei den Menschen legitimiert“

 

Am 30. Januar wurde in der Lichterfelder Petrus-Kirche ein Gottesdienst unter der Losung "Wir wollen nicht vergessen“ durchgeführt. In seiner Einleitung fügte Pfarrer Eckhard Rößner hinzu: „Wir wollen nicht vergessen, aber wir sollen.“ Es besteht ja der Versuch, Erinnerungen im Namen der „Gesundung“ des Volkes zu verdrängen. Gerade darum möchte sich in Rahmen dieser Gemeinde die „Geschichtsgruppe Kulturinitiative Lankwitz“ der nationalsozialistischen Vergangenheit von Steglitz widmen. Laut dem Referenten Georg Siebert hatten in Steglitz ab 1928 die Nationalsozialisten den höchsten Stimmenanteil aller Berliner Bezirk erzielt. Es wurde außerdem in der Wismarer Str. 1943 ein Außenlager des KZs Sachsenhausen für 1.200 Gefangene errichtet. Hinsichtlich dieser Vergangenheit meinte  Siebert: „Wenn wir uns jetzt nicht darum kümmern, wird sie vergessen.“ Da es noch heute „in vielen Teilen der Welt“ einen derartigen Faschismus gibt, haben Deutsche eine besondere Pflicht, darauf hinzuweisen.

 

An demselben Nachmittag berichteten in der Neuköllner Ananias-Kirchengemeinde fünf Gemeindeglieder, die die Machtergreifung als Augenzeugen miterlebt hatten. Sie wiesen wiederholt darauf hin, daß Hitlers Anfangsjahre mit Erfolg gekrönt waren. Eine Augenzeugin meinte: „Wer Erfolg hat, ist bei den Menschen legitimiert.“ Ein anderer beklagte die mangelnde menschliche Solidarität und machte die Zerstrittenheit der „über 40 Parteien“ für die Machtübernahme durch die Faschisten verantwortlich. Wer damals – wie heute – über eine gesicherte Arbeitsstelle verfügte, sah die Welt von einer ganz anderen Warte aus als derjenige, der arbeitslos war.

 

Bill Yoder

Berlin, den 30. Januar 1983

 

Erschienen im Evangelischen Pressedienst, Landesdienst Berlin, 385 Wörter