Im Nachgespräch nach einer Lesung im Berliner DGB-Haus am 23. November 1982 behauptete der DDR-Schriftsteller Stephan Hermlin, er sei 1931 als 16-Jähriger "aus religiösen Gründen“ in die KPD eingetreten. "Ich bin Bibelleser gewesen," fügte das SED-Mitglied hinzu, und "habe mir oftmals gesagt, Jesus könnte ja auch in ganz anderer Gestalt wiederkehren." Er dachte damals, vielleicht würden gerade die Spartakus-Anhänger, die "mit bestimmten Losungen durch die Straßen zogen, während sie zugleich das Lied sangen, daß alle Menschen, groß und klein, Brüder sind", die Wiederkehr Jesu bedeuten. Auch heute noch habe er das Gefühl, die Kommunisten seien, trotz ihrer Irrtümer, zwar nicht Jesus, dennoch Jünger. Sie seien ja "Nachfolger dieser alten Sehnsucht".
Der Schriftsteller Günter Kunert habe ihn einst als „gläubigen Atheisten“ bezeichnet. Er fuhr aber fort: "Natürlich bin ich ein Atheist verglichen mit einem Kirchengläubigen, der glaubt„ daß die Kirche die Verkörperung religiöser Ideen - d.h. des Christentums - sei. Das glaube ich nicht.“ Die Kommunisten "haben die größte Chance von allen, das herbeizuführen, was die Bergpredigt gemeint hat. Aus diesem Grunde bin ich kein Mitglied einer Kirche." Er frage sich dennoch manchmal, warum er kein Kirchenmitglied sei.
Auf die Frage hin, ob er an einen Gott im biblischen Sinne glaube, erwiderte er: „Ich kann die Nichtexistenz Gottes nicht beweisen;“ dies sei für ihn eine äußerst intime Frage.
Bill Yoder
Berlin, den 24. November 1982
218 Wörter
Anmerkung von Januar 2022: Stephan Hermlin (1915-1997), ein Vertrauter Erich Honeckers, war einer der bekanntesten Schriftsteller in der DDR. Günter Kunert (1929-2019) war Lyriker und Schriftsteller. Im Jahre 1979 siedelte er nach Westdeutschland um.