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Das Problem kirchlicher Korruption

Eine wundervolle Gelegenheit, die Echtheit unseres Glaubens zu belegen

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Über den Weg zur Ehrlichkeit und Transparenz

 

Kommentar

 

M o s k a u – Es steht außer Frage, daß kirchliche Spenden aus westlicher Richtung eine Menge Gutes bewirkt haben. Moskau, das bis zur Perestroika über eine einzige zugelassene, evangelische Gemeinde verfügte, hat heute womöglich 100. Unzählige humanitäre Vorhaben wäre niemals zustande gekommen, hätte es die westlichen Spender nicht gegeben. Tausende oder Millionen von Russen haben Grund zur Dankbarkeit.

 

Doch inzwischen ist seit dem Niedergang des Kommunismus fast ein Vierteljahrhundert vergangen und der Prozeß zur Etablierung transparenter und gerechter Verwaltungsstruk­turen steckt noch in den Kinderschuhen. Die Geschichte finanzieller Beziehungen ist nicht sonderlich glücklich ausgefallen. Mit Berufung auf ein osteuropäisches Land haben deutsche Baptisten darüber geklagt, daß ein imposantes Domizil für den Leitenden Pastor nicht selten das Hauptergebnis von Partnerschaften sei. Westliche Spenden haben abgenommen; die große Mehrheit der Ost-West-Partnerschaften ist Vergangenheit.

 

Fälle von Diebstahl kommen vor. In einem Falle hat vor kurzem ein inzwischen gekündigter kirchlicher Mitarbeiter humanitäre Spenden auf den Bau seines sehr ansehnlichen Eigenheims umgeleitet. Nachdem man ihn endlich zur Rede stellte (das Haus war fast fertig), entschuldigte er sich vor der versammelten Gemeinde und gab einen Teil der Gelder zurück. Die Besitzrechte für das Anwesen trug er auf seinen Sohn über – was jeglicher Andeutung von Buße im Wege steht. Fragwürdiges Eigentum an den „schuldlosen“ Nachwuchs weiterzuleiten ist nur ein häufiges Mittel zur Schadensbegrenzung.

 

Doch sind die meisten Fälle weniger eindeutig. Kirchliche „Korruption“ kommt selten vor, wenn der Begriff begrenzt wird auf die Transmission von Geldern zur Beeinflussung von Entscheidungen. Ein umfassenderes Verständnis, das etwa den Einsatz der eigenen Machtposition für den privaten Gewinn einbezieht, ergäbe sofort einen weitaus größeren Kreis von „Belasteten“. Die Grenzziehung zwischen Korruption und Lauterkeit ist in der konkreten Anwendung oftmals undeutlich. Die Lage wird besonders kompliziert, wenn nationale Kirchenleitungen fragwürdige Transaktionen gutheißen.

 

Die Privatisierung kirchlichen Eigentums

In der Ex-UdSSR kommt es häufig vor, daß Privatpersonen als die offiziellen Eigentümer von kirchlichen Immobilien fungieren. Doch meistens ist das ein ungewollter Zustand, der durch die Weigerung von Staatsbürokraten, der Kirche Eigentum zuzugestehen, verursacht worden ist. Ein ganz anderer Fall liegt vor, wenn Kirchen ihr verbrieftes Eigentum Privatpersonen übereignen. Es ist vorgekommen, daß osteuropäische Kirchen wertvolle Immobilien und Wohnungen Privatpersonen geschenkt haben.

 

Ein e.V. darf seinen Besitz veräußern – doch dessen Verarmung durch das Verschenken eigenen Eigentums einzuleiten, steht auf einem anderen Blatt. Das kann auch durchaus zu Auseinandersetzungen mit den ursprünglichen Spendern führen. In der deutschen Diakonie kommt es vor, daß eine leitendende Persönlichkeit den Dienstwagen nach Beendigung des Dienstes geschenkt bekommt. Doch sie mit Immobilien zu beglücken, würde alle Rahmen sprengen.

 

Diese Problematik war besonders ausgeprägt Mitte der 90er Jahre als wertvolle Gebrauchtwaren aus dem Bestand aufgelöster NATO-Basen – Fahrzeuge und Küchen z.B. – Osteuropa überschwemmten. Eine kirchliche Organisation, die zu den Abnehmern gehörte, ließ zu, daß die große Mehrheit ihrer Reichtümer in Privathände geriet. Fast nichts ist dieser heute verarmten Organisation geblieben. „Arme Fabrik – reicher Fabrikbesitzer“ kommt in Rußland immer wieder vor. Obwohl die Zahlen im kirchlichen Bereich bescheidener ausfallen, hat dieses Phänomen auch eine kirchliche Variante.

 

Eine weitere Variante betrifft den Weiterverkauf von Immobilien, die einer Kirche gespendet worden sind. Wer erntet den Gewinn, wenn solche Transaktionen sich abspielen? Die Transparenz fehlte bei manchen derartigen Vorgängen.

 

Auf die Gefahren aufmerksam machen

1. Ein hohes Einkommensgefälle. Bekommt ein kirchlicher Mitarbeiter ein viel höheres Gehalt als andere mit einem ähnlichen Rang? Das könnte wie Schweigegeld aussehen. Das Wissen über Fragwürdiges stattet dem Eingeweihten mit einer ungeheuren Macht aus. Es lohnt sich, Geheimnisträger bei der Stange zu halten.

 

2. Buchhalterische Kniffe. Für die Buchhaltung gibt es Richtlinien und Moral. Halten sich die Kirchen daran? Spiegeln Finanzbücher die tatsächlichen Zustände wider? Steuerliche Erwägungen können durchaus zu einem Umschreiben der Ziffern führen. Hier wäre eine völlig unabhängige Rechnungsprüfung gefragt.

 

3. Ungerechte Stellenvergaben. Stellen die leitenden Kreise von Unionen und Organisationen auffallend viele Familienmitglieder und enge Freunde ein?

 

4. Die private Nutzung von Gemeindeeigentum. Es kommt nicht selten vor, daß ein kirchlicher Mitarbeiter ein für den Dienst der gesamten Gemeinde gespendetes Fahrzeug als sein Eigentum behandelt. Nicht selten werden gespendete Gelder nicht so eingesetzt, wie sie vom Spender vorgesehen waren. Die Osteuropäer geben sich dem Improvisieren stärker hin, als die Moral es erlauben würde.

 

Westliche Mitschuld

Westliche Spender scheren sich wenig um die ganze Wahrheit – sie bevorzugen frohmachende Geschichten. Sie wollen erbaut werden und die Verfasser von Geschichten wollen zum Spenden ermutigen. Westler haben genügend Ärger daheim und keine Lust, sich mit den Problemen anderweitig zu befassen.

 

Unsere westliche PR ist nicht selten Propaganda – eine partielle, sehr selektive Wahrheit. Die Genauigkeit unserer Berichterstattung läßt zu wünschen übrig. In einem Brief an einen missionarischen Informationsdienst in den USA im Juli 2012 beschwerte ich mich über falsche Angaben in einem Bericht über das Land, in dem ich lebe (Belarus). Zu ihnen zählte die Behauptung, daß Protestanten jeglicher sozial-diakonische Dienst verwehrt sei. Darauf kam keine Antwort und der Bericht wurde auch nie korrigiert.

 

Eine US-Misson gab vor wenigen Jahren bekannt, sie habe in Rußland etwa 46.336 Menschen (die angegebene Zahl ist auf der Webseite nicht mehr zu finden) zum Glauben geführt. Aber ich kenne einen ihrer Missionare vor Ort und er gibt unumwunden zu, daß er von drei Missionen unterstützt werde. Gibt er deshalb nur „Drittelbekehrungen“ an, wenn er seine Zahlen an die Mission weitergibt? Die Bekehrten zählen wir zweifach und dreifach. Die Mission „e3 Partners Ministry” gibt auf ihrer Webseite eine veraltete Aussage weiter: „In den letzten Jahren haben Tausende von kurzfristigen Missionaren Rußland durchflutet. Aus der Fülle der Berichte wäre zu entnehmen, über die Hälfte der Bevölkerung habe sich bereits zu Christus bekehrt. Doch tatsächlich befindet sich nicht mal ein Prozent der Menschen in irgendeiner Kirche am Sonntagvormittag.“

 

Die Kirchen Rußlands sträuben sich dagegen, abnehmende Mitgliedszahlen zu publizieren - das entmutigt potentielle Spender. Wahrscheinlich wären Osteuropäer penibler bei der Wiedergabe von Zahlen, wenn wir Westler es ebenfalls wären.

 

Vorschläge für die Rückkehr zum schmalen Pfad

1. Vertraue niemandem blind. Traditionelle, nicht-demokratische Kirchenkulturen verehren den Patriarchen: das alleswissende, nahezu fehlerfreie, sorgsame, charismatische und männliche Gemeindeoberhaupt. Der Patriarch könnte auch durchaus über eine engelhafte Gattin und 12 engelhafte Kinder verfügen, doch an anderer Stelle wird sein Schutzpanzer Sprünge aufweisen. Man darf nie vergessen, daß alle Sünder seien und irgendwo der Versuchung erliegen können. Ein Präsident oder Gemeindeoberhaupt muß in seinen finanziellen Belangen immer auch anderen Gemeindegliedern rechenschaftspflichtig sein.

 

Die Ethik der Menschen gerät immer wieder ins Subjektive. Wenn’s im eigenen Interesse liegt, können auch Patriarchen die Sünde wegdiskutieren. Vertraue niemandem gänzlich – auch dir selber nicht. Ich kontrolliere andere – andere kontrollieren mich. Jeder ist anderen Menschen und nicht nur Gott rechenschaftspflichtig – dafür sind die Versuchungen zu gewaltig. Wenn größere Spenden eintreffen, zeichnen zwei oder mehr Personen gegen. Wird eine Kollekte eingesammelt, bestätigen mehrere die genaue Zahl. Es wäre ungerechtfertigt, dieses gesunde Mißtrauen zu verurteilen – es gesteht vielmehr die Tatsache ein, daß wir alle Normalsterbliche und erlöste Frevler sind. 

 

2. Sei nicht so nett, daß du auf alle Fragen verzichtest. Finde den Mut, unangenehme Fragen zu stellen. Wenn ein kirchlicher Mitarbeiter plötzlich über ein imposantes Haus verfügt, frag ihn nach der Quelle seiner Finanzen. Über die genaue Höhe braucht man sich nicht zu erkundigen. Wenn die Person nicht antwortet, gibt man die Information auf vertrauliche Weise nach oben weiter. Das strapaziert Freundschaften, doch die Kirche und deren Ruf müssen beschützt und verbessert werden. Uns ist die Sache wichtig genug, um nachzufragen.

 

Vornehmheit und Schüchternheit begünstigen den Mißbrauch. Eine Gemeinde oder Mission sollte niemals spenden ohne die Bereitschaft, die Spende mit harten Fragen zu begleiten. Westler haben durch den Verzicht auf Rechenschaft den Mißbrauch begünstigt. Wenn sie enttäuscht wurden, nahmen sie die Angelegenheit stillschweigend hin und leiteten ihre Spenden nach Afrika um.

 

Habe keine Angst vor leitenden Persönlichkeiten. Wer an das allgemeine Priestertum glaubt, darf fragen. Keine zentrale Kirchenbehörde kann das Gesamte überblicken – vielleicht ist sie auch nicht gerecht und objektiv genug, um Urteile über Ortsgemeinden zu fällen.

 

3. Ich bin für das Gesamte mitverantwortlich. In einem Falle, in dem fragliche finanzielle Vorgänge aufkamen, rief ein kirchlicher Mitarbeiter aus: „Mensch bin ich aber froh, daß diese Angelegenheit nicht auf meinem Tisch landen wird!“ Doch könnte man sich vorstellen, daß sich Jesus auf eine Nichtzuständigkeit in moralischen Belangen berufen hätte? Wenn es sich bei uns um eine christliche Brüder- und Schwesternschaft handelt, dann hat jedes Mitglied das Recht, Fragen zu stellen. Eine übergreifende, nationale Führung hat sogar die Verpflichtung dies zu tun. Das Schweigen würde in solchen Fällen die Preisgabe ihrer Aufsichtspflicht bedeuten.

 

Wenn Ortsgemeinden in finanziellen Fragen bedrängt werden, können sie leicht die Flucht in einen anderen Gemeindebund ergreifen. Mit derartigen Risiken muß man leben können.

 

4. Sei transparent. Ich meine, daß jeder, der wie ich von Spenden lebt, sein tatsächliches Einkommen einer kirchlichen Aufsichtsbehörde vorlegen muß. Das schulden wir auch unseren Unterstützern. Ein Aufsichtsgremium muß über das Gesamtbild verfügen. Kein kirchliches Oberhaupt darf finanzielle Informationen, die seine Kirche betreffen, für sich behalten – da sind die Versuchungen zu groß.

 

Ein Präsident oder Generalsekretär ist seinem Kirchenrat Rechenschaft schuldig – nicht umgekehrt. Unter den deutschen Baptisten ist ein Pastor seinem Gemeinderat verantwortlich – er hat ihn auch eingestellt. Leiter auf nationaler Ebene sind einem Gremium verantwortlich, das vor allem aus Laien besteht, die kein Gehalt aus dem Kirchenbund beziehen. Das verleiht dem Vorstand die erforderliche Objektivität und Selbständigkeit.

 

Ein deutscher Freund fragt: “Wer könnte Angst vor der Transparenz haben?” Das sei doch eine „wundervolle Gelegenheit“, die Echtheit unseres Glaubens unter Beweis zu stellen.

 

5. Die Gerechtigkeit fördern. Offene Stellen sollten innerhalb der Gemeinden ausgeschrieben werden. Das würde der Subjektivität entgegenwirken und leitende Personen davon abhalten, eigene Kumpels oder Familienangehörige gedankenlos einzustellen. Alle Kandidaten würden einer einzige Liste von Kriterien unterworfen sein, und so kämen die am besten Qualifizierten auch die besten Chancen.

 

Man sagt, englischkundige Pastoren mit Gemeinden in der Nähe von internationalen Flughäfen verfügten über die meisten Ost-West-Partnerschaften. Obwohl die Mehrheit der russischen Gemeinden keinen Partner hat, fällt mir eine Gemeinde in Flughafennähe mit nicht weniger als fünf Partnerschaften ein.

 

Ausländische Gelder über zentrale Kirchenbüros zu leiten kann die Objektivität und strategischen Charakter von Spenden – ebenfalls die zentrale Behörde selbst – stärken. Doch das gelingt auch nur wenn die Zentralbehörde selbst funktioniert und das Wohl aller Gemeinden im Auge hat.

 

6. Richtlinien schaffen. Kirchen brauchen Richtlinien. Was “good practice” heißt, müssen sie definieren und einhalten. An dieser Stelle könnte der Westen eine Hilfe sein. Die überkonfessionelle „Evangelische Allianz“ ist eine relativ unparteiliche Instanz, die ein ethisch vertretbares finanzielles Gebaren buchstabieren könnte.

 

Eine schlechte Kirchenführung (bad governance) darf nicht ohne Folgen bleiben. In der Hoffnung auf Besserung müssen jene, die etwa eine Kirche oder Organisation zugunsten des Gewinns von einzelnen verarmt haben, gemaßregelt werden bzw. den Hut nehmen.

 

In all diesen Fragen ist der Westen gut beraten, sich bescheiden zu verhalten. Bekanntlich würden Fälle kirchlicher Korruption allein in den Vereinigten Staaten mehrere Bände füllen. Dennoch ist es nicht wenigen westlichen Kirchen gelungen, Modelle zur Sicherung einer ethnisch vertretbaren Kirchenführung einzuführen. Doch bleibt kein Regelungswerk wasserdicht und frei von Schlupflöchern. Erst vor kurzem hat ein Insider in einer deutschen Ortsgemeinde einen Diebstahl großen Ausmaßes begangen.

 

Zweifellos sind die Evangelikalen Rußlands weniger schuldig als die Repräsentanten ihres Staates. Bei Protestanten handelt es sich auch um wesentlich kleinere Mengen – doch ist das moralische Gefälle zwischen ihnen eindeutig genug? Wir wollen vorbildliche Staatsbürger sein: Darf also ein solcher Bürger bei der Einkommenssteuer schummeln und sich eine doppelte Buchführung leisten? Sehr viele russische Bürger erhalten zwei Gehälter: Der steuerfreie Teil wird bar in einem Umschlag überreicht. Ehrlichkeit und Transparenz können kostspielig sein. Doch unseren Überzeugungen gemäß zu leben, beweist wer die richtigen Männer (und Frauen) sind. Unser Charakter und Ruf stehen auf dem Spiel. Zum Weg der Ehrlichkeit und Transparenz gibt es keine Alternative.

 

Die Gläubigen Rußlands sind durchaus imstande, die Herausforderung zu meistern. Die Korruption als festen, unauflösbaren Bestandteil der russischen Kultur einzustufen wäre höchst arrogant und ungerecht. Artikel wie diese müssen notwendiger­weise vage bleiben – das kann einen Generalverdacht erzeugen; es fällt Zwielicht auch auf die Rechtschaffenden. Doch genau wo die Schwachstellen liegen, müssen die Insider erkennen und entsprechend handeln. Wir Außenstehenden können sie ermutigen, sich ans Werk zu machen.

 

Dr.phil. William Yoder

Moskau, den 20. Februar 2013

 

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